In den letzten Tagen gab es für mich mal wieder einen kleinen „reality check“, wie man neudeutsch so schön sagt. Während ich in der letzten Zeit in Sachen Ernährung eher die „Mach es doch nicht unnötig kompliziert“-Schiene gefahren bin, ist genau das für viele leichter gesagt als getan.
Wo soll man anfangen? Ich stell mir das ungefähr so vor, als sollte ich auf einmal eine Stange Geld in Aktien investieren. Dabei hab ich null Plan davon. Also bin ich den Experten hilflos ausgeliefert. Die widersprechen sich natürlich alle auch noch gegenseitig. Ich seh eine Menge Aktien von Unternehmen, deren Namen ich schonmal gehört habe; mir werden Strategien empfohlen, über die ich mal irgendwo zwei Sätze gelesen habe. Am Ende sitz ich wahrscheinlich wie das Kaninchen vor der Schlange. Und stopf das Geld lieber unter die Matratze.
Übertragen auf unser Ernährungsproblem heißt das alles: Ich mach vermutlich weiter wie bisher. Und das ist blöd. Und weil blöd blöd ist, gibt es heute drei einfache Schritte, mit denen du die Reise zu deiner optimalen Ernährung starten kannst.
Schritt 1: Defizite ausgleichen
Oftmals wird über Ernährung geredet, als ginge es lediglich um die darin enthaltene Energie, die wir als Treibstoff benötigen. Und während Energie (bzw. die richtige Energiemenge) sicher wichtig sind, müssen wir als erstes festhalten, dass der menschliche Körper sehr viel komplexer ist, als der Motor in deinem Auto.
Nahrung enthält neben den bekannten Makronährstoffen (Protein, Fett, Kohlenhydraten) auch Mikronährstoffe. Das sind Substanzen, die dein Körper in vergleichsweise geringen Mengen braucht (Vitamine, Mineralstoffe). Aber er braucht sie. Die Liste geht weiter: Co-Enzyme, Sekundäre Pflanzenstoffe…
Dein gesamter Organismus besteht aus (weit) mehr als 100 Billionen Zellen.
Damit du optimal funktionierst, müssen deine Zellen optimal funktionieren.
Damit chemische Reaktionen ablaufen können (viele Billionen in jeder Sekunde!). Damit deine Zellen sich optimal selbst erneuern können (je nach Art des Gewebes erneuern sich die allermeisten Zellen deines Körpers spätestens alle zehn Jahre). Damit die richtigen Gene aktiviert werden. Richtig gelesen: Nährstoffe haben einen Einfluss auf den genetischen Ausdruck. Manche Nährstoffe unterstützen den Körper, etwa bei der Entgiftung. Andere können negative Folgen haben. Du bist, was du isst.
So ist es ziemlich leicht zu verstehen, dass Nahrungsdefizite dir im Weg stehen können: Antrieb, Stimmung, Ausdauer, Kraft, Appetit, Körperzusammensetzung…
Nährstoff-Defizite sind verbreiteter, als allgemein angenommen wird.
Man hört immer wieder Statements wie „bei uns in der westlichen Zivilisation musst du dir über Nährstoffmangel keine Gedanken machen“ oder „Wenn du dein Obst und Gemüse isst, dann kommst du locker auf deine Mikronährstoffe“.
Solche Aussagen tragen vielleicht zum emotionalen Wohlbefinden bei, spiegeln aber nicht unbedingt die Realität wider. Studien zeigen, dass Mängel die Regel, nicht die Ausnahme sind. Besonders verbreitet: Wasser (!), Vitamin D, Vitamin E, Zink, essenzielle Omega 3 Fettsäuren, Protein.
Dabei ist auch zu bedenken, dass die offiziellen „Richtlinien“ (die oftmals auf Produktverpackungen zu sehen sind) in Sachen RDA (Recommended Daily Allowance = empfohlene tägliche Aufnahme) für den Durchschnittsmenschen gedacht sind. Die offiziellen RDA Mengen stehen immer wieder in der Kritik, vielfach zu niedrig angesetzt zu sein. Noch dazu sind die Böden nicht mehr das, was sie mal waren. Nährstoffreiche Lebensmittel setzen einen nährstoffreichen Boden voraus. Die moderne Intensivlandwirtschaft tut uns in der Hinsicht keinen Gefallen.
Festzuhalten ist: Mängel sind weit verbreitet. Das ist ein Problem, denn so funktioniert der Körper nicht optimal.
Meine Empfehlungen an dieser Stelle (außer du möchtest in sehr kostenintensive Bluttests investieren):
- führe ein Ernährungstagebuch für 1-2 Wochen (für ein realistisches Bild deiner Ernährung, auch relevant in Schritt 2)
- trink mehr Wasser (jeder weiß es, keiner macht es)
- nimm zusätzlich Fischöl ein
- iss mehr Obst und Gemüse in allen Farben
- iss mehr Protein (Fleisch, Fisch, Eier, Hülsenfrüchte, ggf. Nahrungsergänzung)
- testweise/zusätzlich: Nimm ein paar Wochen ein hochwertiges Multivitamin (aus Pflanzenextrakten und mit sekundären Pflanzenstoffen (nicht den Mist aus der Apotheke))
Schritt 2: Nahrungsmenge anpassen
Nachdem wir sichergestellt haben, dass du alle lebenswichtigen Nährstoffe bekommst, ist der nächste Schritt, die Menge und Zusammensetzung zu betrachten.
Keine Panik, es geht hier nicht darum, langfristig Kalorien zu zählen. Durch Unterschiede in der Zubereitung und Rohstoffqualität, falsche Laborwerte und falsche Kennzeichnung liegt man am Ende selbst mit peniblem Zählen ohnehin trotzdem daneben – und zwar substanziell. Auch diverse Kalorienrechner, die den Grundbedarf ermitteln sollen, sind nie mehr als ein grober Anhalt. Jeder ist anders. Deswegen ist das Ernährungstagebuch für den Anfang wichtig.
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Aus Gründen der Praktikabilität bin ich ein großer Fan des Calorie Control Guide von Precision Nutrition.
Der benutzt die Hand als Maßeinheit für die Portionsgrößen.
Wenn du die Mengen und Nahrungsmittel protokollierst, und gleichzeitig die Signale deines Körpers nutzt (Antrieb & Energie, körperliche Leistungsfähigkeit im Training, Hunger), sowie zusätzliche Messwerte heranziehst (Waage, Umfänge, Vergleichsfotos), hast du mehr als genug Feedback, um zu wissen, ob du genug Energie aufnimmst.
Wenn du Änderungen machen musst, hast du ein realistisches Ausgangsbild (dein Tagebuch) und kannst deine Nahrungsaufnahme in kleinen (höchstens 10%) Schritten erhöhen oder verringern.
Macht das alles Arbeit? Ja. Aber im Gegensatz zum Kalorienzählen lernst du, mit dem körpereigenen Feedback zu arbeiten und Portionen ohne Feinwaage zu bemessen.
Wenn die Menge passt, kannst du dich der Makronährstoffzusammensetzung widmen, um deine Resultate weiter zu optimieren. Also das Verhältnis von Protein:Fett:Kohlenhydraten.
Ich persönlich würde unabhängig vom Ziel raten, am Tag 2g Protein/kg Körpergewicht aufzunehmen.
Mehr ist nicht schlimm, aber für die allermeisten nicht notwendig.Weiter würde ich dir zwar gerne sagen: „30% Fett, 40% Kohlenhydrate“, oder etwas in die Richtung. Aber daran glaube ich selber nicht. Als Faustregel würde ich sagen: Wenn du Kalorien reduzieren oder erhöhen musst, dreh zuerst an der Kohlenhydrat-Schraube. Aber letzten Endes kommst du hier um ein bisschen Experimentieren nicht herum.
Nachdem du also:
- Nährstoffmängel beseitigt und
- die Nahrungsmenge angepasst hast:
- stelle sicher, dass du bei ca. 2g Protein/kg Körpergewicht liegst und experimentiere mit der restlichen Nahrungszusammenstellung, bis du ein für dich gutes Verhältnis aus Fetten und Kohlenhydraten gefunden hast.
Auch bei dem Schritt hilft dir wieder ein Ernährungslog, vor allem, wenn du dir ein paar Notizen zu Hunger, Energie und der Reaktion auf bestimmte Mahlzeiten machst.
Das klingt leider nicht so präzise und wissenschaftlich, wie irgendwelche genauen prozentualen Aufteilungen. Aber ich habe selber mit der Zeit festgestellt, dass solche Richtlinien immer nur einen Ausgangspunkt darstellen und man daher ohnehin um Selbstversuche nicht umhin kommt. Jeder ist anders.
Schritt 3: Alles andere
Zuerst musst du die Basics im Griff haben. Denn dort kannst du am meisten rausholen in Hinblick auf deine gewünschten Resultate. Alles andere gibt nur Bonuspunkte. Jemand kann sich Rohkost-Atkins-Paleo ernähren, mit Intermittent Fasting, Carb Cycling und nem Schrank voller Nahrungsergänzungsmittel: Wenn Nährstoffmängel bestehen und/oder die Nahrungsmenge arg über oder unter dem tatsächlichen Bedarf liegt, dann stimmen die Resultate nicht.
Dinge, die unter Schritt 3 fallen:
- Carb Cycling
- Intermittent Fasting
- Meal Timing im weiteren Sinne
- Workout Nutrition
- Nahrungsergänzung außer Fischöl, Protein (und ggf. ein hochwertiges Multivitamin), und:
- JEDE spleenige Modediät, die dich zwingt, auf bestimmte Nahrungsmittel zu verzichten, weil sie „böse“ sind
Viele fangen leider mit Punkt drei an. Sie probieren direkt Intermittent Fasting. Sie probieren irgendein Nahrungsergänzungsmittel, weil eine Studie rausfand, dass das supertoll ist. Sie probieren irgendein Ernährungsdogma, das gerade „in“ ist. Und fühlen sich am Ende verarscht, weil sie ihre Ziele nicht erreichen. Basics first.
Fazit
Falls du das Gefühl hast, in deiner Ernährung steckt Optimierungspotenzial, hab ich dir hoffentlich ein paar Anregungen liefern können, sowie eine nachvollziehbar logische Prioritätensetzung. Zusammengefasst:
- Beseitige Nährstoffmängel, vor allem durch den Konsum nährstoffdichter Nahrung
- Krieg die Nahrungsmenge in den Griff und finde eine Makronährstoff-Kombination, die für dich funktioniert
- Experimentier erst dann mit besonderen Zusatzstrategien, wenn du die ersten beiden Punkte eine Weile im Griff hast
Sollte dich das Thema Ernährung noch intensiver interessieren oder du hast sogar Interesse dich zum Ernährungsberater ausbilden zu lassen, habe ich hier eine interessanten Informationsseite für dich.
Weiterführende Informationen:
Journal of the International Society of Sports Nutrition I
Journal of the International Society of Sports Nutrition II
Title photo courtesy of The Food Junk (Creative Commons License)
Lemon photo courtesy of Comingstobrazil (Creative Commons License)
Blueberry Quinoa photo courtesy of Sweetonveg (Creative Commons License)