Pokémon GO als Fitness-App

Pokémon GO

Seit einigen Tagen ist Pokémon GO auch auf dem deutschen Markt spielbar. Die Nation ist gespaltet: „GO or no?“ heißt es oft. Unfälle sollen dank dem neuen Smartphone-Spiel verursacht worden sein und allgemein: warum schauen die Menschen nur ständig auf ihr verdammtes Smartphone und beschäftigen sich nicht lieber miteinander?

Diese verfluchten Smartphone-Suchtis…

…kommen nicht mal aus den eigenen vier Wänden! rlt! Stopp! Mit Pokémon GO läuft man in der realen Welt auf und ab, testet neue Routen und levelt die kleinen Monster allmählich nach oben, fängt neue oder tritt in Arenen gegen andere Spieler an, um die Arena für sein Team zu besetzen.dcore

Aus der Sicht eines „Fitness-Bloggers“

Vorweg möchte ich einen Fakt klarstellen: ich habe es mir sofort nach Release in Deutschland auf mein iPhone geladen und angefangen mich heranzutasten. Am gleichen Abend noch bin ich drei Stunden durch den Clara-Zetkin-Park, Johanna-Park und die Innenstadt getigert. Die folgenden zwei Tagen sahen ähnlich aus, bis auf einige Unterschiede in den abgelaufenen Wegen.

War ich am Tag vor Release noch den ganzen Tag im Büro vor meinem Macbook und habe fleißig meiner Webworker-Tätigkeit gefröhnt, hatte ich die Tage mit Pokémon GO wesentlich mehr Bewegung. Eine kleine Kostprobe aus dem „Pedometer“, einer iPhone-App, die die getätigten Schritte und zurückgelegten Kilometer übersichtlich darstellt:

Der Pedometer-Stand nach dem Pokémon GO Release in Deutschland
Der Pedometer-Stand NACH dem Pokémon GO Release in Deutschland
Pedometer-Stand exemplarisch vor dem Pokémon GO Release in Deutschland
Pedometer-Stand exemplarisch VOR dem Pokémon GO Release in Deutschland

Nun bin ich vielleicht nicht der Ottonormalverbraucher einer solchen App. Ich gehe nach wie vor ins Gym, das erfasst die App natürlich nicht. Das Pedometer ist auch nicht zu 100% exakt, aber das ist auch gar nicht wichtig, um die Steigerung zu sehen. Auch vor Release habe ich bewusst Fußwege gewählt, um mehr Bewegung in meinen Alltag zu bringen. Jetzt stellt euch Menschen vor, die sich vorher nur zwischen Büro, Supermarkt und den heimischen vier Wänden (bestenfalls noch mit dem Auto) bewegt haben.

Entdecke deine Stadt

Jetzt mal an alle Kritiker: kennt Ihr eure Stadt gut? Wirklich gut? Nun, ich lebe jetzt seit 4 Jahren in Leipzig und habe garantiert noch nicht alles gesehen, was es zu sehen gibt. Auch sind mir viele Kleinigkeiten nicht aufgefallen oder wurden als selbstverständlich wahrgenommen. In Pokémon GO sind sogenannte „Poké Stops“ integriert, die beim Besuchen und anklicken Pokebälle und andere Items wie Tränke oder Lock-Module, aber auch Eier geben.

Pokestop
Pokestop
Ein Taubsi im Büro!
Ein Taubsi im Büro!

Diese Pokestops animieren zum Besuchen von Sehenswürdigkeiten (wie Statuen, besonders hübschen Orten in Parks und auch Ladengeschäfte). Bei wichtigen Plätzen gibt es zum Bild noch Hintergrundinformationen zum Ort – eine Art modernes Sight-Seeing!

Zudem habe ich durch solche Punkte die letzten 3 Tage auch Enten gefüttert, einen riesigen freilebenden Igel gesehen und bin mit Menschen ins Gespräch gekommen.

Menschen? Gespräch? IHR SEID DOCH ALLE SMARTPHONE-SUCHTIS!

Exakt, Menschen und Gespräche. Immer, wenn ich Raucher kennengelernt habe, hatte ich als Nichtraucher offensichtlich einen entscheidenen Nachteil: die Raucher konnten sich gegenseitig connecten, kamen ins Gespräch und häufig entstanden Freundschaften, weil man nach einer Zigarette oder Feuer gefragt hatte. Zumindest, wenn man meinen rauchenden Freunden glauben möchte.

Im Park, als ich ein Sichlor fangen wollte, begegnete mir der Igel. Ich begutachtete ihn und erfreute mich an seiner monströsen Gestalt (kein Scherz, ich freue mich über Tiere – siehe auch die Kleinohrmaus vom See neulich!). Plötzlich kam ein Hund angerannt und der Igel versteckte sich. Mit dem Herrchen des Hundes kamen wir noch kurz ins Gespräch, es war nett. Übrigens: er war ebenfalls auf Pokémon-Suche.

Kindheitserinnerungen

Einige Menschen meiner Generation sind mit Pokémon aufgewachsen. Wir haben das erste Pokémon-Spiel auf dem Gameboy verschlungen, die weiteren Teile gespielt und die Serie im TV gesehen. Meine Freizeitaktivität war dennoch geprägt von Fußball, „Armee spielen“ und andere Tätigkeiten, die man damals so gemacht hat.

Es ist schön, dass Augmented Reality in den Mainstream ausgerechnet durch Pokémon GO Einzug erhält, obwohl der gleiche Softwareentwickler auch schon ein anderes Spiel vor einigen Jahren auf den Markt gebracht hat.

Um Pokémon aus Eiern auszubrüten muss man mehrere Kilometer zurücklegen
Um Pokémon aus Eiern auszubrüten muss man mehrere Kilometer zurücklegen

Fußball ist ja so viel besser!

Interessengemeinschaften sind unglaublich stark. Paleo-Anhänger, Veganer und Vegetarier sind Beispiele aus der Fitnessbranche. Fußball-Enthusiasten hingegen ein Mainstream-Beispiel. RB Leipzig beispielsweise wird von vielen Anhängern sogenannter „Traditionsvereine“ abgrundtief gehasst. Warum? Weil Red Bull Geld in den Verein pumpt, um oben mitmischen zu können. In wenigen Jahren hat es RB Leipzig in die erste Liga geschafft. Der Osten Deutschlands hat jetzt aber endlich einen Verein in der ersten Bundesliga – Glückwunsch dazu!

Mir ging lange Zeit Fußball wirklich auf die Nerven. Dumme Parolen, betrunkene ekelhafte dicke Männer, die sich gegenseitig anschreien und für Randale sorgen. Seit ich das erste Mal im Stadion war (ja, bei RB Leipzig!) sehe ich das anders. Es macht Spaß einer Gemeinschaft anzugehören. Ich bin kein Hardcore-Fan und werde es auch niemals sein. Ich genieße die Atmosphäre in einem Stadion und bei WM- und EM-Spielen. Mehr auch nicht. Vorher war es mir, wie gesagt, gleichgültig und ich habe mich auch nicht dazu geäußert.

Warum müssen die Pokémon-Hater ihren Hass so offen ausleben? Genau so dumm ausleben wie die Anti-RB-Anhänger? Konzentriert euch doch, verdammt nochmal, auf euren Verein, auf eure Hobbys und lasst die Menschen in Frieden.

Ihr baut Unfälle!

Warnhinweis im Loginscreen
Warnhinweis im Loginscreen

Ein geniales Vorurteil ist das „Unfall-Argument“. Dadurch, dass Spieler von Pokémon GO nur auf ihr Smartphone schauen, bauen sie ganz leicht Unfälle! Also entschuldigt mal, aber ein Unfall liegt kaum an einem Spiel, sondern an der Verantwortung des jeweiligen Menschen, sich auf wichtige Dinge zu konzentrieren. Bei der Autofahrt fährt man eben Auto. Beim Laufen achtet man auf Ampeln, Straßenschilder und andere Menschen.

Ein schönes Argument besonders intelligenter Menschen! Hier eine kleine Compilation einiger Kommentare zu einem Facebook-Post der Hauptbahnhof-Promenaden in Leipzig:

Typischer Pokémon GO Hate
Typischer Pokémon GO Hate

Aus Marketersicht: Augmented Realität wird DER Shit

Augmented Reality und Virtual Reality ist seit einiger Zeit ein angesagtes Thema. Aus diesem Grund fand neulich in Leipzig auch das erste MeetUp zum Thema statt, an dem wir (MNKYlab.com) als Sponsoren beteiligt waren. Für Marketer wird es eine spannende neue Erfahrung, die durch Pokémon GO gehyped und der breiten Masse zugänglich gemacht wird.

Lokale Ladengeschäfte können sich Poké-Stops erkaufen, Lockmodule zünden, die mehr Pokémon in das Geschäft locken und somit ebenfalls Menschen zum Besuch bewegen. Auch das Sight Seeing kann auf ein völlig neues Level gehoben werden. Wenn Städte sich dazu bereit erklären würden, die Inhalte (Poké-Stops) mit gescheiten Texten und Hintergrundinformationen zu füllen, könnte man ein interaktives Erlebnis gestalten, was so bisher noch nicht möglich ist. Insbesondere, weil man sich teure Guides sparen kann und die Menschen nur ein Ticket für den öffentlichen Verkehr benötigen oder auch zu Fuß losziehen können. Die Möglichkeiten sind grenzenlos, man muss sie nur angehen.

Diesen schönen Fleck im Park habe ich durch Pokémon GO gefunden
Diesen schönen Fleck im Park habe ich durch Pokémon GO gefunden